Die Reform der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 14.08.2025 bringt weitreichende Veränderungen für die Bewertung des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Ansprüche auf Nachteilsausgleiche. Im Zentrum steht die Teilhabeorientierung, die Betroffenen eine gezieltere Durchsetzung ihrer Interessen ermöglicht.
Fokus auf Teilhabe und verbesserte Aktenlage
Die neue Änderungsverordnung legt besonderen Wert auf die individuelle Teilhabe. Damit gewinnen die sorgfältige Sicherung der medizinischen Aktenlage und die präzise Argumentation für Betroffene an Bedeutung. Denn der Nachweis der eigenen Situation und Einschränkungen wird künftig noch relevanter, um die Anerkennung eines geeigneten GdB und zugrundeliegender Nachteilsausgleiche zu sichern.
Systematische Heilungsbewährung: Mindest-GdB und Regeldauern
Die Heilungsbewährung wird ab jetzt klar in Teil A der Verordnung geregelt: Für zahlreiche chronische und schwerwiegende Erkrankungen gibt es feste Mindest-GdB-Werte sowie einheitliche Fristen, wie lange dieser Grad mindestens anerkannt bleibt. Diese Neuregelung schafft Transparenz und Verlässlichkeit für Patientinnen und Patienten sowie deren beratende Ärzt:innen und Anwält:innen. Davon profitieren besonders Krebspatienten und Transplantierte, die rascher Zugang zu Nachteilsausgleichen erlangen.
Psychische Störungen und Schmerz erstmals als eigenständige Einträge
Ein bedeutender Fortschritt ist die eigenständige Berücksichtigung psychischer Störungen und chronischer Schmerzerkrankungen in der GdB-Bewertung. Voraussetzung dafür ist die gesicherte Kodierung nach ICD. Depressionen, Angststörungen oder chronischer Schmerz werden dadurch nicht mehr als „Begleitdiagnose“ behandelt, sondern erhalten eine gezielt erfassbare Berücksichtigung. Für Betroffene bedeutet das bessere Chancen auf eine den tatsächlichen Einschränkungen entsprechende Bewertung und Teilhabe.
Nachvollziehbare Gesamt-GdB-Bildung durch die +10-Regel
Zentral für die Praxis ist die Einführung der +10-Regel. Wesentliche Gesundheitsstörungen führen zur Erhöhung des Gesamt-GdB um 10, wohingegen das starre Addieren einzelner Werte oder arithmetische Mittelwertbildung untersagt bleibt. Die maßgeblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen müssen dabei eine klare Wechselwirkung auf verschiedene Funktionssysteme haben, was eine präzise medizinische Begründung erforderlich macht. Dies sorgt für mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Bewertung.
Schnellerer Nachteilsausgleich für Betroffene mit progressiven Erkrankungen
Patienten mit rasch fortschreitenden Erkrankungen wie ALS oder bestimmten Krebserkrankungen erhalten bereits mit dem Diagnosezeitpunkt die Möglichkeit, sofort gravierende Einschränkungen geltend zu machen. Die bisher übliche Wartezeit von sechs Monaten bis zur Anerkennung eines dauerhaften GdB entfällt. Damit kann der bestehende Unterstützungsbedarf schneller und zielgerichteter berücksichtigt werden.
Kommerzielle Einblicke: Chancen und Pflichten für Beratungsdienste
Mit der präziseren GdB-Bewertung steigen auch die Anforderungen an kommerzielle Anbieter juristischer oder medizinischer Beratung. Dienste, die sich auf das Antragsverfahren, die Prüfung und die Durchsetzung von Nachteilsausgleichen spezialisiert haben, müssen die neuen Kriterien frühzeitig abbilden. Die gezielte Aktenanalyse, die passgenaue Argumentation zur jeweiligen Erkrankung sowie das Verständnis der neuen +10-Regel sind entscheidend für erfolgreiche Anträge. Führende Anbieter integrieren fortlaufend aktuelle medizinische Klassifikationen und Prozesse, um Mandanten bedarfsgerecht zu begleiten.
Beispiel: Ein ärztlicher Gutachter überprüft die ICD-Kodierung einer chronischen Schmerzstörung und prüft, ob diese nach der neuen Logik einzeln im GdB-Gutachten zu bewerten ist. Auf dieser Basis gelingt es, eine gezielte Vertretung der Interessen zu gewährleisten und die jeweils passenden Nachteilsausgleiche zu sichern.
Wichtige praktische Hinweise für Betroffene
Für alle Antragsstellenden empfiehlt sich, bereits vor der Antragstellung sämtliche relevanten Unterlagen, Befunde und Diagnosen nach aktuellem medizinischem Stand zu sammeln und strukturiert aufzubereiten. Insbesondere ICD-Codes für Schmerz- oder psychische Erkrankungen sollten exakt vorliegen, um eigenständige Berücksichtigung zu ermöglichen. Eine frühzeitige Beratung kann dabei helfen, Fehler im Verfahren zu vermeiden und die Chancen auf Anerkennung deutlich zu erhöhen.
Die Änderungen der Versorgungsmedizin-Verordnung bieten damit sowohl Chancen als auch neue Anforderungen. Eine individuell angepasste, medizinisch und juristisch fundierte Begleitung wird für Patienten, Beratungsdienste und Versorgungsträger künftig noch entscheidender. Wer die Neuerungen aktiv für sich nutzen möchte, sorgt durch eine starke Aktenlage und gezielte Argumentation für optimale Voraussetzungen bei der GdB-Bewertung und Förderung der individuellen Teilhabe.